Was wird aus Peter Müller? Der einstige "junge Wilde" und Parteilinke steht vor seiner vielleicht schwierigsten Aufgabe: Entweder er schmiedet als erster in der Republik ein Jamaika-Bündnis - oder er muss in Polit-Rente.
Ob er am Wahlabend mal an Rücktritt gedacht habe? "Nein", antwortet Peter Müller kurz und trocken. Trotz eines Minus von 13 Prozentpunkten bei der Saar-Wahl, trotz des Verlusts der absoluten Mehrheit, trotz der arithmetischen Unmöglichkeit der angestrebten schwarz-gelben Koalition: Müller will Ministerpräsident bleiben. Denn seine CDU sei stärkste Partei, sagt er, und habe deshalb den Regierungsauftrag - mit ihm an der Spitze.
So verkündet es die Partei in Saarbrücken: "Unser Spitzenmann steht außer Zweifel", hat Fraktionschef Jürgen Schreier über seinen Vorsitzenden gesagt. In einer gemeinsamen Sitzung von CDU-Landesvorstand und Fraktion im Landtag hat Müller am Montagabend Rückendeckung bekommen; wie SPIEGEL ONLINE von mehreren Teilnehmern erfuhr, wurde dabei allerdings eine breite Analyse des 34,5-Prozent-Wahlergebnisses vermieden. Jetzt müsse man eine Regierung hinkriegen, aufarbeiten könne man später, hieß es. Müller selbst hatte bereits am Vortag klargemacht, dass er es für "arg voreilig" halte, "jetzt schon die Ursachen zu analysieren". Eine "ausführliche Analyse" werde später stattfinden, sagt auch CDU-Generalsekretär Stephan Toscani.
Nun hat Müller zwar auch Gespräche mit der SPD als zweitstärkster Kraft im Land angekündigt, allerdings lotet er primär eine Jamaika-Koalition mit FDP und Grünen aus - und zeigt bereits vorab erstes Entgegenkommen bei Differenzen mit den Grünen, etwa in Sachen Studiengebühren: "Die Bereitschaft, über diese Fragen zu reden, besteht."
CDU-Linker Müller: "Junger Wilder" und Kohl-Kritiker
Es ist offensichtlich: Die CDU ist bereit, sehr weit auf die Grünen zuzugehen. Es ist Müllers einzige Chance. Einerseits muss er seine eigene Partei auf diesem Weg hinter sich scharen und seinen Führungsanspruch aufrechterhalten, andererseits die tendenziell eher zu einem rot-rot-grünen Bündnis neigende Öko-Partei locken. Vorteil: Die CDU an der Saar ist ein eher linksgerichteter Landesverband innerhalb der Union, Berührungsängste zwischen den Lagern haben hier nie bestanden. Peter Müller galt mal als "junger Wilder" und Kohl-Kritiker, schrieb seiner Bundespartei später ein liberales Zuwanderungskonzept; mit dem Bundestagsabgeordneten Peter Altmaier verfügt die Saar-CDU gar über einen prominenten Vertreter der einst legendären schwarz-grünen "Pizza-Connection" aus den Neunzigern.
Was aber, wenn die Grünen die Personalkarte ziehen: Jamaika ja, aber nicht unter einem MP Müller? "Alles viel zu früh, dazu mache ich keine Aussage", wehrt Saar-Grünen-Chef Hubert Ulrich gegenüber SPIEGEL ONLINE ab. Und seine Co-Vorsitzende Claudia Willger-Lambert geht noch einen Schritt weiter: "Es ist nicht unsere Aufgabe, das einzufordern."
In der Union haben sie dies erleichtert aufgenommen. Denn neben dem politischen Schwergewicht Müller haben sie kaum entsprechendes Personal anzubieten. Hier und da werden Innenminister Klaus Meiser oder Bildungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer als passable Alternative genannt, doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die CDU Saar in den letzten zehn Regierungsjahren allein auf Peter Müller ausgerichtet hat. Generalsekretär Toscani spricht von einer "unglaublich hohen Verbundenheit der Partei mit Peter Müller und umgekehrt".
Kronprinzen? Fehlanzeige.
Und warum auch? Müller ist erst 53 Jahre alt. Müsste er raus aus der schmucken Staatskanzlei am Saarbrücker Ludwigsplatz, stünde er im besten Politikeralter plötzlich ohne Job da. Es mag zwar nicht viel heißen, dass er vor der Landtagswahl einen Wechsel in die Bundespolitik im Interview mit SPIEGEL ONLINE ausgeschlossen hat, doch dürfte Angela Merkel bereits ein recht genaues Personaltableau für den Fall einer schwarz-gelben Regierungsübernahme in Berlin im Kopf haben. Und dabei dürfte Müller kaum eine Rolle spielen. Vor vier Jahren noch, während des Bundestagswahlkampfs 2005, war er in ihrem Kompetenzteam als Mann für Wirtschaft und Arbeit gesetzt. Doch die Große Koalition kam Müllers Wechsel von der Saar an die Spree dazwischen. Seitdem hat er immer erklärt, Berlin sei für ihn erledigt.
So wie es jetzt aussieht, kann demnach Müllers Zukunft nur im Saarland liegen. Bei den anstehenden Sondierungen mit den Grünen geht es für ihn um alles oder nichts. Deshalb ist er vorsichtig, will offenbar hinter den Kulissen den Wandel vom Regierungschef mit der absoluten Mehrheit zum kompromissbereiten Verhandler mit den Grünen vollziehen, meidet die Öffentlichkeit. Ein eigentlich für diesen Dienstag angesetztes Treffen mit der Landespressekonferenz - einer Vereinigung der Politjournalisten im Saarland - wurde kurzerhand von Müllers Staatskanzlei ohne Angabe von Gründen abgesagt. Ein Regierungssprecher teilte auf Anfrage mit, Müller habe bereits nach dem Treffen von Vorstand und Fraktion am Vortag alles gesagt.
Volle Konzentration also auf die Grünen. Die CDU scheint bereit, alles für ein Bündnis zu tun. Studiengebühren, Großkohlekraftwerke, Unterschiede in der Bildungspolitik - alles kein Problem mehr. Basarland Saarland?
"Keine unüberwindbaren Hindernisse"
So will das Roland Theis, der Vorsitzende der örtlichen Jungen Union und neuer Landtagsabgeordneter, natürlich nicht sehen. Vielmehr gebe es zwischen CDU und Grünen an der Saar grundsätzlich "keine unüberwindbaren Hindernisse" mangels Atomkraftwerken im Land oder größeren Straßenbauprojekten. Die Studiengebühren seien "verhandelbar", sagt Theis. Für die Uni-Maut gebe es "wohl keine gesellschaftliche Mehrheit". Ganz anders als indirekt die jungen Parteifreunde in Thüringen lässt der Saar-JU-Chef keine Kritik am Spitzenkandidaten gelten: Das Ergebnis sei zwar "enttäuschend", aber "nicht primär mit der Person Peter Müller verbunden". Deshalb sei es "ausgeschlossen", dass die CDU ohne Müller in eine Koalition gehe: "Wir dürfen uns das politische Personal nicht diktieren lassen." Stephan Toscani sagt, ein solches Ansinnen anderer Parteien wäre "indiskutabel".
Doch alle Mühe kann vergebens sein. Am Ende entscheiden die Grünen. Und obwohl deren Vorsitzender Ulrich die Rolle des unabhängigen Königsmachers gerade in allen Zügen auskostet, ist eine gewisse Nähe zu Rot-Rot-Grün doch unübersehbar. Das fängt schon mit dem guten Verhältnis zu SPD-Spitzenkandidat Heiko Maas an. Vor der Wahl haben Ulrich und Maas regelmäßig gesprochen, der Grüne berichtete SPIEGEL ONLINE gar von einer "bedingten Vorabsprache" mit Maas - allerdings in Sachen Ampelkoalition.
Der grüne Verband von Homburg stimmt für Jamaika
Während Peter Müller den Grünen eine offiziellen Brief mit der Einladung zu Sondierungsgesprächen zukommen ließ, klärte Maas dies offenbar vorab schon persönlich. Die SPD dürfte Ulrich auch an die letzten Tage vor der Wahl erinnern. Da hatte Peter Müller Fragen zu den Grünen und Jamaika vehement abgeblockt, während Heiko Maas indirekt gar eine Art von Zweitstimmenkampagne für die von der Fünf-Prozent-Hürde bedrohten Grünen anschob.
Auf der Abschlusskundgebung der SPD am vergangenen Donnerstag in Saarbrücken-Burbach rief Maas seinen Anhängern zu: "Auch die Grünen im Saarland wollen diesen Wechsel, auch sie wollen, dass ich Ministerpräsident werde." Und deshalb habe er "kein Interesse, dass die Grünen geschwächt werden. Wir brauchen Partner." Maas endete mit einem dicken Kompliment und einer Bedingung: "Die Grünen waren immer ein verlässlicher Partner. Wenn sie den Politikwechsel wollen, dann kriegen sie ihn, aber nur mit uns."
Nun ist Ulrich am Zug und pokert hoch. Im grünen Landesverband werden die ersten unruhig. So haben sich am Dienstag die Grünen in Homburg, der drittgrößten Stadt im Saarland, für Jamaika ausgesprochen: "CDU, FDP und auch die Grünen im Land sind nun gefordert, eine Koalition der Mitte zu schmieden", heißt es in einer Erklärung auf ihrer Internetseite. Gegen die Linke gibt es große Vorbehalte bei den Saar-Grünen, weil etwa deren Spitzenkandidat Lafontaine im Wahlkampf versucht hatte, sie mit einer Plakataktion aus dem Landtag herauszuhalten. Aber auch die ehemalige Grüne und heutige Linke-Abgeordnete Barbara Spaniol, die im Jahr 2007 die Seiten wechselte, sorgt weiter für Zündstoff.
Darauf hofft Peter Müller. Vielleicht macht er sich auch Mut mit einem Blick auf die Homepage der Saar-Grünen. Denn dort erwartet den Besucher am Dienstagmittag nach der Wahl noch immer ein Pop-Up mit der Werbung "Lafontaine links liegen lassen".
http://www.spiegel.de/politik/deutschla ... 57,00.html